Autismus bei Frauen wird oft deutlich später erkannt als bei Männern. Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen sowohl in der unterschiedlichen Ausprägung der Symptome als auch in gesellschaftlichen und diagnostischen Faktoren. Insbesondere Masking und Camouflage spielen hierbei eine große Rolle.

Beim Gedanken an Autismus entsteht oft das Bild eines zurückgezogenen, schwer zugänglichen Mannes. Doch tatsächlich zeigt sich die Entwicklungsstörung in vielfältigen Formen. Aufgrund der breiten Vielfalt an Symptomen, Schweregraden und individuellen Ausprägungen spricht man heute von der „Autismus-Spektrum-Störung“ (ASS bzw. ASD für Autism Spectrum Disorder). Lange Zeit galt Autismus als vorwiegend männliches Phänomen. Inzwischen ist jedoch bekannt, dass auch Mädchen und Frauen betroffen sind – jedoch werden ihre Symptome häufig anders gedeutet. Deshalb erhalten sie seltener eine Diagnose und sind als Patientinnen weniger sichtbar. Statistisch gesehen wird Autismus bei Männern dreimal so häufig festgestellt wie bei Frauen.

Autismus bei Frauen: Wann zeigen sich die ersten Anzeichen?

Die Autismus-Spektrum-Störung ist eine komplexe neurologische Entwicklungsstörung, die insbesondere die Kommunikation und Interaktion mit anderen Menschen beeinflusst. Betroffene haben zum Beispiel Schwierigkeiten, Gespräche zu beginnen oder am Laufen zu halten, wie etwa beim Small Talk. Auch das Deuten und Verstehen von Mimik, Gestik und Körpersprache fällt ihnen oft schwer, was eine passende Reaktion erschwert. Ihre eigene Mimik ist häufig weniger ausgeprägt.

Typisch für Menschen mit Autismus sind wiederholende Verhaltensmuster oder ein stark ausgeprägtes Interesse für bestimmte Themen. Die Bandbreite reicht vom Kind mit erheblicher kognitiver Beeinträchtigung, das später auf Unterstützung angewiesen ist, bis zur hochqualifizierten Wissenschaftlerin, die vielleicht etwas eigen wirkt, aber beruflich Außergewöhnliches leistet. Eines haben die meisten gemeinsam: Die typischen Autismus-Merkmale treten bereits in der frühen Kindheit auf – werden bei Mädchen und Frauen allerdings oft nicht als solche erkannt.

Frauen und Mädchen erhalten die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung nicht nur seltener, sondern meist auch erst später als männliche Betroffene. In der Praxis bedeutet das, dass Autismus bei Frauen häufiger erst im Erwachsenenalter festgestellt wird. Zudem besteht für sie ein größeres Risiko, dass die Störung gar nicht erkannt wird.

Autismus bei Frauen: erste Anzeichen

Subtile Symptome und späte Diagnosen – ein unsichtbarer Begleiter

Viele Frauen mit Autismus berichten, dass sie sich schon als Kind „anders“ fühlten, aber nie genau sagen konnten, warum. Vielleicht kennst du das Gefühl, auf einer Party zu stehen und nicht zu wissen, wie man ein Gespräch beginnt, während es bei anderen scheinbar mühelos klappt. Oder du hast dich gefragt, warum dich laute Geräusche oder grelles Licht so sehr stressen, dass du am liebsten fliehen würdest, während andere davon unbeeindruckt bleiben. Viele Frauen leben Jahrzehnte mit dem Gedanken: „Mit mir stimmt irgendwas nicht.“ Doch vielleicht bist du einfach autistisch – und niemand hat es gesehen.

autismus bei frauen und mädchen

Wie äußert sich Autismus bei Frauen?

Zum einen können die Symptome von Autismus bei Frauen weniger offensichtlich sein als bei Männern, zum anderen zeigt sich jeder Betroffene auf einem Spektrum. Kennst du einen, kennst du einen und nicht alle, dies gilt vor allem in Bezug auf Frauen.  Während klassische Anzeichen wie eingeschränkte soziale Kommunikation, stereotype Verhaltensweisen und besondere Spezialinteressen bei beiden Geschlechtern auftreten, zeigen sich bei Frauen oft folgende Besonderheiten:

  • Soziale Anpassung und Maskierung: Viele Frauen mit Autismus entwickeln Strategien, um ihre Schwierigkeiten im sozialen Umgang zu verbergen. Sie beobachten und imitieren das Verhalten ihrer Mitmenschen und versuchen, sich möglichst unauffällig anzupassen („Masking“).
  • Interessen und Hobbys: Die Spezialinteressen autistischer Frauen sind häufig gesellschaftlich akzeptierter oder weniger auffällig, zum Beispiel Literatur, Tiere oder Kunst. Dadurch fallen sie weniger auf als die oft sehr speziellen Interessen autistischer Jungen.
  • Emotionale und sensorische Überforderung: Viele Frauen berichten von starker innerer Anspannung, Überforderung in sozialen Situationen und sensorischen Empfindlichkeiten, wie etwa eine hohe Lärm- oder Lichtempfindlichkeit.
  • Psychische Begleiterkrankungen: Frauen mit ASS entwickeln häufiger Depressionen, Angststörungen oder Essstörungen, was die eigentliche Diagnose verschleiern kann.
 
Auch im Kindesalter wird Autismus Spektrum bei Mädchen häufig erst viel später entdeckt als bei Jungs. Die Gründe hierfür sind teilweise banaler, als man denken mag: Ärzte, Lehrer, Psychologen und auch teilweise die Eltern wollen dem Kind die Zukunft nicht durch einen Stempel verbauen – dieser ist jedoch oft nötig um konkrete Hilfen zu erfahren. 

Hier in unserer Praxis erfährst du auch Hilfe, ohne dass es sofort dafür einen Stempel gibt. 

Warum wird Autismus bei Frauen oft so spät diagnostiziert?

Es gibt mehrere Gründe, warum Autismus bei Frauen häufig erst im Erwachsenenalter oder gar nicht erkannt wird:

  • Diagnostische Kriterien: Die gängigen Diagnosekriterien für Autismus wurden ursprünglich anhand männlicher Probanden entwickelt. Weibliche Erscheinungsformen werden dadurch oft nicht erkannt.
  • Maskierung und Anpassung: Mädchen und Frauen sind meist besser darin, ihre autistischen Symptome zu verbergen. Sie lernen früh, sich sozial anzupassen, was die Erkennung erschwert.
  • Stereotype Vorstellungen: In der Gesellschaft existiert noch immer das Bild, dass Autismus vor allem Jungen betrifft. Dadurch werden Mädchen und Frauen seltener untersucht oder ernst genommen.
  • Fehldiagnosen: Die Symptome werden bei Frauen oft als andere psychische Erkrankung fehlgedeutet, zum Beispiel als Borderline-Persönlichkeitsstörung, Depression oder soziale Phobie.

Fehldiagnose Borderline

Die Symptome werden bei Frauen oft als andere psychische Erkrankung fehlgedeutet, zum Beispiel als Borderline-Persönlichkeitsstörung, Depression oder soziale Phobie. Jedoch neigen ASS- Betroffene eher zum Heißen Duschen oder zum Kopf gegen die Wand schlagen, um sich zu spüren und um sich zu entladen und nicht um sich selbst zu bestrafen. Auch sind ASS-Betroffene schneller wieder bei sich und fühlen sich oft von selbst schuldig. Viele Betroffene schildern, dass es ihnen nach dem Wutanfall unmittelbar leidtut.

Wenn du vermutest, dass du fälschlicherweise mit Borderline diagnostiziert wurdest und bei dir stattdessen eine ADHS oder Autismus Spektrum Störung vermutest, sollten wir uns kennen lernen.

Fehldiagnose Borderline

Gesellschaftliche Vorurteile erschweren die Diagnose bei Frauen

Nicht nur die Testverfahren tragen dazu bei, dass Autismus bei Frauen weniger häufig und später diagnostiziert wird. Auch gesellschaftliche Vorurteile spielen eine Rolle. So wird es bei Mädchen eher akzeptiert, ruhig zu sein und eigene Interessen zu verfolgen. Wenn sie etwa ständig an ihren Haaren drehen, wird das oft als typisch weibliche Geste interpretiert und nicht als mögliches autistisches Verhalten erkannt.

Zeigt eine erwachsene Frau Kommunikationsfreude und emotionale Offenheit, entspricht das den gängigen Erwartungen an weibliches Verhalten – und steht im Gegensatz zu den häufig mit Autismus assoziierten Merkmalen wie Zurückgezogenheit oder mangelnder Kommunikationsfähigkeit. Das macht die Diagnose zusätzlich schwierig.

Ist eine Frau hingegen schüchtern, introvertiert oder strebt nach Perfektion, wird sie oft einfach als still oder zurückhaltend wahrgenommen – aber nicht als möglicherweise autistisch. Das Ergebnis: Geschlechtsspezifische Stereotype führen dazu, dass Autismus bei Frauen häufig übersehen oder vom Umfeld gar nicht erst wahrgenommen wird.

Wenn du dich in diesen Beispielen wiedererkennst, bist du nicht allein. Viele Frauen machen ähnliche Erfahrungen. Es ist nie zu spät, sich selbst besser kennenzulernen und Unterstützung zu suchen. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann helfen, die eigenen Muster zu verstehen und neue Wege im Alltag zu finden.